Ausstellung
Das Wort Körper deutet auf eine geschlossene Form. Das ganz ähnliche Wort Korb dagegen bezeichnet einen offenen Behälter zum Tragen von Dingen. In der Ausstellung von Alexandra Bircken und Anna Holtz spielt das Verhältnis von Öffnung und Abschließung, ebenso das von tragenden Elementen und solchen, die getragen werden, eine wichtige Rolle - Korrelationen, die in der Bildhauerei von Beginn an mit Blick auf den menschlichen Körper verhandelt wurden. Dieser Körper ist jedoch durchlässig: aufgrund seiner biologischen Funktionen und weil er als soziales Phänomen mit seiner Umgebung verbunden ist, die ihn zivilisiert, diszipliniert, optimiert. Auch die beiden Künstlerinnen nehmen den Körper und seine physischen wie sozialen und ökonomischen Ausformungen und Verstrickungen in den Fokus.
Das Zerlegen, der durchgängige, harte Schnitt durch ein ganzes Objekt auf der einen Seite, das Verknüpfen disparater Teile auf der anderen strukturiert viele skulpturale Aneignungen von Alexandra Bircken. Motorräder, Motorradkleidung, Latexanzüge, Waffen, Wachs, textile Materialien, Baugerüste, Äste. Bircken umgarnt und umhüllt die Dinge, aber sie stellt sie auch bloß, legt ihr Innerstes frei. Sie greift die Integrität der Form an, die als abgeschlossene, mit sich selbst idente und zufriedene nicht aushaltbar ist. Die verletzliche wie energetische Präsenz im Raum, für die Birckens Hybridfiguren bekannt sind, entfalten sich gerade in den porösen Zwischenräumen und an den Schnittstellen zur Außenwelt.
Anna Holtz’ Arbeiten fordern nicht weniger intensiv unsere ganze Aufmerksamkeit, die sich zunächst auf das Material richtet. Sie arbeitet beispielsweise mit Bitumen, einem aus Erdöl gewonnenen Stoff, der zur Abdichtung verwendet wird, mit biologisch abbaubaren Folien, die sich anders als Plastik färben lassen, d. h. bis zu einem gewissen Grad durchlässig sind, und mit Draht. In der Galerie der Stadt Schwaz nutzen ihre Wandobjekte die konstruktiven Elemente aus Bügel-BHs als tragendes, wie auch getragenes Gerüst der korbähnlichen Formen. Als gemilderte Nachfahren des Korsetts sind Büstenhalter geeignet, den weiblichen Körper in eine Normfigur zu bringen. Darüber hinaus dient Unterwäsche im Bereich der Ökonomie als Konjunkturindikator, der zuverlässig Schwankungen der Kaufkraft prognostiziert. Auffallend ist hier die gegenseitige Verwicklung der Sphäre vermeintlicher Intimität (Intimissimi) und Privatheit, mit den äußerst kalkulierten Mitteln der Marktforschung.
Alexandra Bircken wurde von Anna Holtz zur Ausstellung hinzu geladen, um die eigene Arbeit in Bezug auf die einer Künstlerkollegin hin zu öffnen. Im Hauptraum der Galerie platziert Holtz ihre liegende Bodenarbeit zu einer aufrecht stehenden Figur von Bircken. Aus dieser Konstellation der Vertikalen und Horizontalen ergeben sich wechselseitige Übertragungen. Holtz’ Arbeit aus Draht und Biofolie nimmt sich beispielsweise die anthropomorphen Züge von Birckens Figur. So gesehen robbt sie über den Boden in Richtung eines unbekannten Ziels, auf das auch Birckens Holzkorpus auf Rollen wie ferngesteuert zuzustreben scheint. Eigentlich bilden die Drähte aber den Grundriss des Schwazer Einkaufszentrums ab, das einen Gutteil der Stadt einnimmt. Vor diesem Hintergrund werden die Bezüge zur Konsumkultur in Birckens Skulptur weiter kontextualisiert. Die Logiken des Ausstellungswesens als auch der Präsentation und Distribution von Waren werden hinsichtlich ihres Umgangs mit Sockel und Transportkiste, Display und Verpackung, Exponiertheit und Einlagerung, Innen und Außen deutlicher aufeinander bezogen.
Alexandra Bircken ist fasziniert von Haut als Hülle und Kontaktorgan des Menschen zur Welt, das uns physisch bewusst wird, wenn es exponiert wird, etwa dem Wetter oder dem Gegenwind beim Motorradfahren. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Einkaufszentren Klimahüllen sind. Sie schotten die Konsumenten ab, um jegliche Ablenkung vom Kaufbegehren zu vermeiden. Die erste Shopping Mall im modernen Sinn wurde 1956 von Victor Gruen, der 1938 vor den Nationalsozialisten aus Österreich fliehen musste, in der Nähe von Minneapolis gebaut. In Zeiten der „Autogerechten Stadt“ entwarf er die Mall, um einen Autofreien Einkauf zu ermöglichen. Anders jedoch als bei der antiken Agora, dem offenen Platz einer Stadt, der dem Marktbetrieb, der öffentlichen Debatte und Gerichtsbarkeit zur Verfügung stand, wird das Zusammenkommen in einer Mall eher erschwert. Der Zugang und die Verkehrswege in einem Einkaufszentrum werden massiv reguliert, vor allem durch Rolltreppen, die nur in eine Richtung fahren.
Die Einladungskarte zeigt die Aufnahme einer Überwachungskamera, die Winona Ryder beim Ladendiebstahl beobachtet. Die Schauspielerin, die juristisch belangt wurde, begründete ihre Kleptomanie damit, sie hätte wahrscheinlich durch diese harte Konfrontation mit der Realität wieder mehr Bodenhaftung erlangen wollen. Ihr Verhalten hatte durchaus masochistische Anklänge, da ihr Begehren nach den Dingen mit der Angst vor einer vorhersehbaren Demütigung einherging. Der Ausstellungstitel „Carried by something else“ variiert eine Zeile aus einem Essay von Ursula K. Le Guin, der die Evolution der Menschheit aus erzähl-theoretischer Perspektive neu bewertet. Weil die Jagt eines Mammuts ungleich spektakulärer sei und deutlich mehr Aufmerksamkeit generieren könne, als das Sammeln von Samen, Beeren und Schnecken, seien in unserer Vorstellung vom Paläolithikum phallische Waffen, wie Speere oder Knüppel dominanter als andere Werkzeuge, wie z. B. Körbe zum Sammeln und Lagern der Nahrung. Der erhellende, feministische Text von 1986 geht allerdings immer noch von einer Art Arbeitsteilung aus, die die kämpferische Kraft den Männern, das Umsorgende den Frauen zuordnet. Bezeichnenderweise wurde diese Aufteilung durch die Jahrhunderte immer wieder auf die Bildhauerei projiziert.
Im hinteren Raum in Schwaz lehnt eine Skulptur von Alex Bircken aus aneinander gereihten Motorradtanks mit einem umlaufenden Band von Haarextensions. „Honda Honda Bionda Onda“ strahlt pure Energie, auch sexuelle Energie und Witz aus. Es erfordert Kraft und Mut ein Motorrad zu steuern. Ebenso ist es eine Herausforderung eine Skulptur zu bauen, der Attraktion des Objekts nachzugeben, sich Raum zu nehmen. Es erfordert Mut, dabei auch Schwäche und Brüchigkeit zuzulassen, um weiterhin offen und aufnahmefähig zu bleiben. Wenn die Wäscheproduktion ein Index für Kaufkraft ist, ist das Ausmaß an Abdichtung von Dingen und Räumen - von Einkaufszentren, wie von sozialen Räumen - ein Gradmesser der Angst, die in einer Gesellschaft herrscht.
Text: Anette Freudenberger
Fotos © N.V.
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