Ausstellung
Die Kunst des Alterns
Louise Bourgeois, Marrie Bot, John Coplans, Anton Corbijn, Ines Doujak, Herlinde Koelbl, Maria Lassnig, Vera Lehndorff, Nicolas Nixon, Andres Serrano, Cindy Sherman, Miwa Yanagi
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Sehr eindrückliche Porträts über das Älterwerden erschließen sich in den dokumentarischen Fotoserien des amerikanischen Fotografen Nicholas Nixon, der deutschen Fotografin Herlinde Koelbl, der niederländischen Fotografien Marrie Bot und dem 2003 verstorbenen Britischen Fotografen John Coplans.
Seit 1975 begleitet Nicholas Nixon mit der Serie „The Brown Sisters“ seine Ehefrau Bebe Brown Nixon und deren drei Schwestern. Jedes Jahr fertigte er in gleicher Haltung und Pose ein Porträt von ihnen an. Die sich verändernden Gesichtzüge und die geschwisterliche Umarmungen werden zu einem sensiblen und intimen Zeitdokument des gemeinsamen Alt-Werdens.
Ebenso begleitet die Deutsche Fotografien Herlinde Koelbl mit ihrer Kamera Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg. In der Ausstellung zeigt sie Ausschnitte zweier Werkgruppen. Aus der 1996 entstandenen Serie „Starke Frauen“ zeigt sie die s/w Porträts der 80-jährigen Nina – Tochter eines russischen Fürsten – die sich in voller Nacktheit fotografieren lies. Es entstanden Fotografien, die den weiblichen Körper in ein weiches und samtiges Licht tauchten. Umso tiefer bewegt emotional die Arbeit über die verstorbenen Eltern, die sich aus einer 6-teiligen Fototafel zusammensetzt und das Paar jeweils im Sterbebett zeigt. Zentrum der Serie ist das Bild der sich haltenden Hände des Ehepaars, das zu Lebzeiten aufgenommen wurde und die innige Verbundenheit über den Tod hinweg zum Ausdruck bringt.
Die Arbeit von Herlinde Koelbl und John Coplans konzentrieren die Vergänglichkeit des Körpers im Alter in seiner Intimität von Anmut und Sein. Exemplarisch nähert sich der britische Fotograf John Coplans (1920 – 2003) seinem eigenen nackten Körper, den er seit seinem 64. Lebensjahr ab 1984 fotografierte. Bewusst sparte er seinen Kopf aus, um seinem Körper den Charakter einer Skulptur zu bemessen, um die Veränderung des propagierten maskulinen Schönheitsideals zu diskutieren.
In der 2004 entstandenen Fotoserie „Timeless Love“ der niederländischen Künstlerin Marrie Bot existiert der nackte alte Körper in seiner vollen Schönheit und seinem natürlichen Begehren, das von den Massenmedien nur zu oft ausgeblendet wird. Die Fotografin suchte per Annonce Paare, die sich von ihr in intimen Posen fotografieren ließen. Es entstanden eindrückliche Porträts, die die Sinnlichkeit der Liebe im Alter unterstreichen und fern ab von den Stereotypien unserer sexualisierten Lebenswelt Liebe im Alter offen und ohne Scham zeigen.
Auch Andres Serrano blendet das Alter in seiner Fotoserie „Sex“ nicht aus und zeigt eine nackte Frau mit dem Titel „Budapest (The Model)“, die sich in einem großzügigen Loft in mondäner Haltung rauchend auf einen Gehstock stützt. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die nackte Frau auf einer im Hintergrund liegenden Matratze und die damit verbundene Assoziation einer lesbischen Beziehung.
Die Scham vor dem nackten alten Körper und die Akzeptanz von Alter und Weiblichkeit thematisiert auch die österreichische Künstlerin Ines Doujak in ihrer Arbeit „Dirty Old Woman“, die sie zuletzt 2005 in einer Einzelausstellung im Salzburger Kunstverein gezeigt hat. In Schwaz versammelt sie gleich einem Schmetterlingsammler in einer Glasvitrine die Nacktporträts von alten Frauen, die sich frivol und lustig über die vorgefertigten Rollenzuschreibungen hinweg setzen.
Das fiktionale Alter
Auch wenn die Ausstellung versucht, ein positives und natürliches Bild über das Altern aufzuzeigen, bleibt die Frage: Dürfen wir denn wirklich so altern, wie wir wollen? Oder liegt das nicht Altern dürfen im Mythos der Jugend begründet?
Veruschka, mit bürgerlichem Namen Vera Lehndorff bzw. Vera Gottliebe Anna Gräfin von Lehndorff, war in den 60er Jahren das erste deutsche Supermodel. Schon auf dem Höhepunkt ihrer Modelkarriere begann Vera Lehndorff die ambivalente Auseinandersetzung mit ihrem perfekten und schlanken Körper (bei einer Körpergröße von 1,83 m) zum Thema ihrer Kunst zu machen. Es entstanden in Folge Körperübermalungen, die sie gemeinsam mit dem deutschen Maler Holger Trülzsch in Fotoserien festhielt. In den 90er Jahren griff sie diese Arbeitsweise wieder auf und re-inszenierte ihr Modelimage Veruschka als Camouflage. Gemeinsam mit dem deutschen Fotografen Andreas Hubertus Ilse entstanden zwischen 1992-96 die „Veruschka Self-Portraits“ in New York, zu denen Veruschka in unterschiedliche Rollen schlüpfte: von der alternden Diva bis zum wilden Tier am Flussufer des Hudson Rivers. Es entstanden eindringliche Porträts, die das Alter durch die zeitlose Schönheit von Vera Lehndorff sprichwörtlich verblassen lassen, aber zugleich auch das Alter im Mythos seiner Jugend spiegeln. Mythen altern nicht, sondern werden zum Zerrbild des eigenen Selbstbildnisses.
Diesem Mythos spürt auch die Fotoarbeit von Anton Corbijn nach, der die Sängerin und Schauspielerin Marianne Faithfull sinnlich porträtierte. Die Porträts des niederländischen Fotografen arbeiten bewusst entgegen den Rollenmustern des Hollywood-Boulevards und versuchen die von den Medien und Gazetten produzierten Starsklischees in sensible Porträts zu verwandeln. Deswegen bilden beide Positionen, Lehndorff und Corbijn, einen kritischen Gegenpol zu der Jugendlichkeit produzierenden Medienmaschine.
Die dokumentierte Zeit des Alterns komprimiert die japanische Künstlerin Miwa Yanagi mit ihrer fotografischen Recherche „My Grandmothers“. Per Annonce befragte die Künstlerin in Japan junge Frauen, wie sie sich ihr Leben in 50-60 Jahren vorstellen würden. Entsprechend ihrer jeweiligen Vorstellungen und Antworten inszenierte und schminkte die Fotografin die jungen Frauen. Es entstanden Bilder, die deren Auffassung über das Alter entlarven, da die dargestellten Szenen – als Düsenjetpilotin oder als Freundinnen nach einer Party – das Alter in ihrer gewohnten jugendlichen Vorstellungen darstellten.
Die Inszenierung des Alltäglichen, war seit jeher Ausgangspunkt der fotografischen Arbeit von Cindy Sherman. In ihrer 1976 entstandenen und 2005 wieder aufgelegten Arbeit „Bus Riders“ (dt. Busfahrgäste) sieht man die Künstlerin bei ihren ersten Versuchen unterschiedlichste Identitäten darzustellen, die sie später weltberühmt machten. Schon damals schlüpfte sie in die Rolle der Teenagers wie auch der alten Frau, die nur unter Mühen im Bus aufrecht zu stehen im Stande ist. In der Ausstellung wird ein Ausschnitt der Serie „Bus Riders“ (1979-2005) gezeigt.
Den inhaltlichen Höhepunkt der Ausstellungen bilden die Arbeiten von Louise Bourgeois und Maria Lassnig. Beide Künstlerinnen stehen für eine Generation von Frauenkünstlerinnen, die vor allem erst mit Ihrem Alterswerk international beachtet wurden und daraufhin außerordentliche Impulse für die zeitgenössische Kunst setzten. Sie sind im Sinne der Ausstellung ein positives und aktives Zeichen für die Bewertung des Alterns, aber auch eindringliche Zeitzeuginnen, da sie als Frauen im Kunstbetrieb erst im Alter im Stande waren sich über die männlich dominierten Gesellschaftsmuster hinweg zu setzen. Hierzu wird die Kunstwissenschaftlerin Dr. Hanna Gagel am 4.10. um 19 Uhr einen Vortrag halten, mit dem Titel: „So viel Energie. Künstlerinnen in der dritten Lebensphase.“ Der Vortrag entspricht ihrem gleichnamigen Buch, das 2006 im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit publiziert wurde.
Maria Lassnig zeigt mit ihrem Werk „Sprechzwang“ – das 1990 entstanden ist – die Verbildlichung zwischen Sprache und Körper. Louise Bourgoise zeigt eine Gouache, die den Titel: YES YES YES. Mit dieser Gouache markiert sie einen positiven Impuls für die Kunst zwischen den Generationen und ihrer Bedeutung für die Darstellung des Alters.
Mit beiden Künstlerinnen dokumentiert die Ausstellung abschließend, dass das Alter nicht nur als temporärer Lebenszustand zu sehen ist, sondern als Summe eines Lebensweges an Erfahrungen, Niederschlägen und Erfolgen zu zählen ist. Daran bleibt auch abzulesen wie viel Verantwortung und wie viele Herausforderungen das Thema des Alterns noch für uns zu lösen bereithält. Viel zu leicht vergisst man, dass das Altern nicht nur das Erreichen eines Lebensalters darstellt, sondern ab der ersten Minute des Lebens ein unwiderruflicher Teil unserer selbst wird.
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