Ausstellung
Wenn drei Mannschaften mit drei Toren gegeneinander spielen, werden nicht die erzielten sondern die durchgelassenen Tore gegen eine Mannschaft gezählt. Der dänische Künstler Asger Jorn (1914-1973) wählte dieses Bild um ein triolektisches Denken zu beschreiben, ein Denken, das der Dialektik eine weitere Dimension hinzufügt. Die Galerie der Stadt Schwaz lädt mit Niklas Lichti, Josef Strau, Jan Timme, Astrid Wagner Künstler_innen ein, die sich in ihren Arbeiten mit Formen der Verwirklichung beschäftigen. Die Wandelbarkeit von Raum und Zeit, Skulptur und Text, Funktion und Dysfunktion werden als Strategien angewandt, um Werte durchzulassen, und nicht um sie zu erzielen.
In dem Band „Texte zur Kunst 1957-1982”, herausgegeben von der Galerie van de Loo München, ist ein Text von Asger
Jorn abgedruckt, der mit „Hoffnungslose Angst – Psychiatrie und Kunst – Das Licht- und Farbproblem – Gegensatz und
Dreiheit der Zeitauffassung – Psychologie der Gegensätze” betitelt ist. Jorn geht in dem Text auf Verhältnisformen ein,
wobei er sich vor allem mit dem Problem des Gegensatzes beschäftigt, den er in Bezug zur Triolektik, zur Dreiheit, setzt.
Jorn lässt nicht These und Antithese in der Synthese aufgehen, sondern sieht in der triolektischen Grundauffassung
einen Möglichkeitsraum um Aktualisierungen und Dynamisierungen vornehmen zu können. Farbe und Licht, Zeit und Raum macht Jorn als relationale Konstellationen aus, unter denen die Kunst operiert, oder besser – sich konstituiert. Jan
Timme fotografierte die Textseiten, die als Arbeitsgrundlage der Vorbereitung zu dieser Ausstellung gedient haben, und
macht sie zum Sujet für Plakat und Einladung.
Mit Überlagerungen von mittelbar und unmittelbar funktionalen Elementen begibt Jan Timme sich in einen
Arbeitszusammenhang, in dem er sich verstärkt den Bedingungen aussetzt, die er, wie in diesem Falle in der Galerie der Stadt Schwaz, vorfindet. Ausgehend von unserem Wunsch eine funktionale Lösung für den Eingangsbereich zu finden, in
dem eine Garderobe und ein Informationsmöbel Platz finden soll, entwickelte Jan Timme ein Set aus vier Elementen. Das
so genannte Garderobenbild, eine Leinwand mit einem Siebdruck, der auf einem Cartoon basiert, der zwei Kerle sagen
lässt: „Good news--I hear the paradigm is shifting” und auf den Schachfiguren als Garderobenhaken montiert sind, ist
eine Zusammenarbeit von Jan Timme mit der Künstlerin Mirjam Thomann. Das Bild, das die Künstlerin im vergangenen
Jahr in ihrer Ausstellung in der Galerie der Stadt Schwaz gezeigt hatte, kehrt also hierher zurück. Dies ist eigentlich
unüblich, aber das Bild hat maßgeblich dazu beigetragen, die Eingangssituation der Galerie zu überdenken und eröffnet
nun eine „triolektische” Konstellation von Funktion, Institution und Kunst.
Der große Springer ist ein Möbel, dessen Form sich von einer Schachfigur auf dem Garderobenbild ableitet. Eingearbeitet
in die Figur wurden nun Fachböden, die sich zum Teil aus der Konstruktion zu ergeben scheinen, und als Ablagen für
Text- und Informationsmaterial dienen, wie sie für Ausstellungen erarbeitet werden. Eine weitere Komponente bildet eine Skulptur, die ebenfalls von einer Schachfigur abgeleitet ist, in diesem Fall ist es die Dame, die auf einem schlanken hohen Kubus steht. Dieser taucht proportional verkleinert noch einmal neben der Queen auf. Jan Timme platziert sie jedoch nicht im Ausstellungsraum, sondern neben zwei Plastiken im Treppenhaus des Palais Enzenberg. Viertes Element ist ein Plakat, dessen Motiv das Plattencover „Shoplifters of the World Unite” von der Band The Smiths darstellt. Ausgehend von dem Garderobenbild, das das (Schach-) Spiel eröffnet, führt Jan Timme mit dem Knight, der Queen und dem King Elvis auf dem Plakat Figuren ein, die ihrerseits eine Konstellation bilden, in der es genauso um Zugmöglichkeiten geht, wie um die Bereitstellung von Bezügen zum Vorhandenen.
Niklas Lichtis Skulpturen haben zwar möglicherweise mit Einrichtungsgegenständen zu tun, mit Beistelltischchen,
Kleiderständern und Bänken, aber zu benutzen sind sie nicht. Es sind azephalische, kopflose Figuren aus Metallstangen
und speziell gefertigten und angepassten Kleidungsstücken, von denen einige Gläser, Glasscheiben und Papiere mit
Zeichnungen in ihren roboterhaften Händen tragen. Den dissoziierten Kopf der fragmentierten Körper assoziiert man, im
Bedürfnis die Figur wieder zu vervollständigen, mit den runden Gläsern. Die Verbindung von Kopf und Hand in Bezug auf
Wahrnehmen und Verstehen als räumlichem Vorgang ist schon im Wort „begreifen” enthalten. Lichtis Skulpturen führen
mit der Spaltung, der semantischen Verschiebung von Kopf zur Hand zum Glas, das Verhältnis von Sehen und Zeigen,
Objekt und Repräsentation in einer permanenten Bewegung vor, in die die Betrachter/innen unweigerlich hineingezogen
werden und die ein „und, und, und,… ” statt eines „entweder oder” etabliert. Eine Bewegung, die sich in den feinen
Zeichnungen und Gravuren, die je nach Standpunkt mehr oder weniger sichtbar hervortreten, noch einmal wiederholt.
Porträts und Tierfiguren erscheinen mehrfach variiert und erfüllen je nach Zusammenhang verschiedene Aufgaben und
Anwendungsaspekte.
Die schwarzen Übermalungen großformatiger Werbeplakate von Astrid Wagner lösen das relationale Gefüge von Figur
und Text der Werbung in eine amorphe Körperform auf, die weder weiblich noch männlich codiert ist. Ist Schwarz hier die
Fabe der Abstraktion wie bei Malevitch oder die der Umrißzeichnung wie im Comic? Bildet sie eher ein schwarzes Loch, das alle Informationen schluckt oder liegt die Farbe als plastisches Material auf der Bildfläche, das nur kleine Öffnungen
an Stelle der Augen freilässt, deren Weiß so weit verdeckt wird, dass sie nicht mehr als menschliche erkannt werden?
Und wer betrachtet hier wen? Wie erstaunlich freundliche Wesen aus einem Zwischenreich scheinen die fluiden Formen
und Flächen das Eigentliche der verdeckten Werbung zu sein, Abspaltungen, die jederzeit aus dem Bild, mit dem sie jetzt
noch verbunden sind, treten könnten, um in weiteren Metamorphosen und Trennungsprozessen Identität zu behaupten.
Vielleicht als Keramiken, von denen einige ausgewählte in der Ausstellung zu sehen sind. Zwischen ungeformtem
Material (Ton ist ebenso Ausgangsmaterie wie die Farbe Schwarz) und Form, die man benennen, bzw. begreifen kann,
finden sie ihre Gestalt quasi im Flow zwischen Form, Formlosigkeit und Funktion.
„…Ich füge hinzu, dass jede Disjunktion von einer Konjunktion begleitet ist und jede Konjunktion mit einer Disjunktion
verbunden ist”, schreibt Jorn im oben angeführten Text. Dies erst erzeugt die dynamische Konstellation, die eine
Bewegung sowohl innerhalb der Arbeiten als auch zwischen Ausstellungssituation und Betrachter/innen initiiert.
Wie kommt der Begriff zum Objekt und wie reflektiert sich dieser Vorgang selbst? Ein immer wieder in verschiedenen
Varianten erzählter Text von Josef Strau beschreibt die Rolle des Künstlers zwischen bildnerisch Produzierendem und
Schreibendem. Ein Erzähler – der mal Josef, mal eine Frau ist, wobei ein anderer Text einen mitschreibenden Auteur
Automatique namens Ossip anführt, dessen Porträt ein Bild zwischen Katze und Mensch ist – erkennt endlich die
Möglichkeit, beim Aufwachen noch im halbwachen Zustand mittels einer Verlängerung eine Leselampe anzuschalten,
ohne dafür eigens aufstehen zu müssen. Die Geschichte erinnert an Marcel Broodthaers Selbstinitiation als bildender
Künstler, der mit dem Eingipsen seiner Gedichte sein erstes Kunstobjekt herstellte, den Text aber unleserlich machte. Bei
Strau werden dagegen Text und Objekt so verbunden, dass der Text lesbar und überhaupt erst entstehen kann, denn
ohne den ökonomischen Zuschuss aus dem Verkauf der Lampen wäre an Schreiben gar nicht zu denken. Eine Auswahl
seiner Textposter, die an der Wand als Bild zu betrachten und zum Mitnehmen und Lesen ausgelegt werden, fungiert in
Schwaz als fiktiver Subtext eines Autors, der von einem anderen Ort aus spricht.
Text: Anette Freudenberger und Eva Maria Stadler
Fotos: WEST.Fotostudio
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