Ausstellung
Leg deine Jacke ab, du bist nicht mehr in der Kälte,
Leg deine Schuhe ab, du bist nicht mehr im Schnee,
Leg dein Selbst ab, du bist nicht mehr du.
Ideen und Vorstellungen von Anonymität plagen die Menschheit seit jeher. Wenn man einmal woanders ist, kann man dann auch ein*e andere*r sein? Nur im Geiste, so scheint es. Alles, was altert, ist die Erscheinung eines früheren Bildes.
In der Ausstellung ‘She is in it not not at all‘ befragt Julia Znoj die Realität von Wiederholung, von zeitlichen und materiellen Verläufen, von Klängen und leeren Umhüllungen, aus denen die Fragen drängen: Was ist ein Teil? Was ergibt ein Ganzes? In Materialstudien wird die Negativform verworfen, während die Positivform zum begehrten oder intendierten Objekt transferiert. Die hier präsentierten Werke gehen aus früheren Arbeiten hervor, basierend auf weiblichen Requisiten, und bringen zum Vorschein, was zuvor verdrängt wurde. Sie laden die Betrachter*innen dazu ein, Formen zu zerlegen und sie als Teile, Versionen oder als Widerhall eines vergangenen Lebens wahrzunehmen, die tradierten Erzählungen zu überarbeiten.
Bewegung als das Vergehen von Zeit ist dem künstlerischen Arbeiten förmlich eingeschrieben. Die Entstehung der Ausstellung ist von vielen Reisen beeinflusst. Ebenso ist das Publikum einer Ausstellung ein sich ständig Wandelndes - Bewohner*innen eines Ortes, Besucher*innen, Reisende. Dadurch entsteht ein Gefühl des Umherschweifens, ein fortlaufender Austausch - ein Zustand, der in Znojs Praxis in den Vordergrund gerückt wird. Inspiriert von Musik und Klangerfahrungen präsentiert die Künstlerin erstmals eine eigenständige Soundarbeit, deren Titel, Sculls (2022), auf jene hölzernen Ruder verweist, mit denen ein Boot durch eine*n willige*n Teilnehmer*in oder mit der gleichen Fähigkeit eines*r Schwimmer*in, sich unter Wasser zu bewegen, angetrieben wird. Das Soundpiece ist in einer Editionsauflage als Vinylplatte verfügbar. Ein Medium, das Fragen nach dem Nutzen ausgedienter Objekte und dem Wesen der Nostalgie aufwirft.
Wasser, das sich hier durch literarische und buchstäbliche Verkörperungen materialisiert, sowie Spuren von Rückständen, Ab- und Eindrücken sind weitere formgebende Elemente der Ausstellung. So erinnert Ophelia (2022), eine Skulptur aus thermoplastischem Kunststoff, an verschwundene Objekte, deren äußere, materiell beständige Struktur für eine absehbare Ewigkeit entblößt wird. Die harte Schale ist alles, was vom Körper des Objekts verbleibt, aber in Verbindung mit den anderen angesammelten oder angeschwemmten Objekten, die sich unsichtbar unter einer wellenförmigen Decke ausbreiten, entsteht eine neue körperliche und collagierte Identität.
Auf diese Weise wird das frühere Leben der Ausstellungsobjekte durch ihre Vergänglichkeit, ihren Tod oder ihre absichtliche Beseitigung erforscht. So greift die Ausstellung ein antikes philosophisches Paradoxon auf, bekannt als Das Schiff des Theseus. Die Kernfrage, lautet: Wenn ein Objekt, oder Teile davon – mit all seinen ursprünglichen Eigenschaften, seiner Macht oder seiner Präsentation – immer wieder ausgetauscht werden muss, auch wenn es dabei weiterhin seinem ursprünglichen Bild entspricht, ist es dann noch dasselbe?
Aus dem Englischen übersetzt: Text © Brit Barton
Brit Barton ist Künstlerin und Autorin und lebt in Zürich und Chicago.
Kunstraum Schwaz in Kooperation mit Exhibitions on paper:
Exhibitions on paper ist eine 2016 entstandene Künstleredition. Versehen mit den Daten der jeweiligen Ausstellung sind die Publikationen als limitierte Künstleredition erhältlich.
Exhibitions on paper 5 ist eine limitierte Edition mit zwei Originalen von Jacopo Belloni und Julia Znoj, siebgedruckt auf Cyclus-Papier 90 g. bei Atelier Madame (Genf) mit einer Stückzahl von 100 Exemplaren. Die Poster können über Exhibitions on paper bestellt werden.
Mit Dank an die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia für die Unterstützung der Produktion der Arbeit 'Sculls' von Julia Znoj.
Anhören