Ausstellung
Eine Linie drückt Bewegung aus. Sie verbindet zwei Punkte und sie teilt Felder beziehungsweise Terrains ab. Sie markiert eine Bühne, eine Projektionsfläche und trennt zwischen Szene und Publikum, Real- und Illusionsraum. Julian Göthe hält diese Grenze zwischen Realität und Fiktion jedoch durchlässig. Seine Arbeiten, Zeichnungen, wie Skulpturen und Installationen schalten zwischen den Medien und zwischen Zwei- und Dreidimensionalität hin und her. Der Berliner Künstler und Professor für Bildhauerei in Wien ist bekannt für seine Wandverspannungen. Auch in der aktuellen Ausstellung in Schwaz zieht Julian Göthe mit Polyesterseilen einen alternativen Raum ein. Seine Seilzeichnungen strukturieren die weiße Wandfläche, anders jedoch als das gleichgültige Grid der Moderne. Sie lenken vielmehr den Blick auf Stellen von besonderer Anziehungskraft, ausgewiesene Flächen, Öffnungen und angedeutet opulente Rahmen, die den Kontext für eine Reihe von Postern schaffen, für andere Räume, in die sich die Betrachter_innen als Teil der gesamten Inszenierung hinein imaginieren können. Distanzierungsmomente sind die digitalisierten Drippings, die die Interieurs auf den Postern als eigene Bereiche ausweisen. Es sind keine privaten Raumvisionen, sondern Innenausstattungen von Designern, wie etwa Jean-Michel Frank, die ihre Entwürfe in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft zur Diskussion stellen. Die Seilzeichnungen und Raumansichten lassen gewissermaßen die Wände sprechen, weil sie diese auf ausgedehntere Horizonte hin öffnen, als sie die heteronormative Gesellschaft bereithält. Dieses Freiheitsversprechen belässt Göthe allerdings weitgehend in einer Welt der Projektionen, in einem Begehrenskontext, der nicht wieder durch neue Regularien verfestigt werden soll. „Walls Talk“ heißt der Film, der im Kabinett der Galerie gezeigt wird und komplementär zu der Installation im Hauptraum gelesen werden kann. Es ist eine anderthalbstündige Abfolge von Bildmaterial im Kinoformat aus Göthes Universum: Setdesign, barocke Festarchitekturen, Kunst- und Designgeschichte und Musik. Davor schwingen und tänzeln Linienformationen im Rhythmus der Sounds. Sie formen mit manchmal (un)heimlicher Neugierde Bögen und Kringel, gleiten über Wölbungen, schmiegen sich an Elemente, als ginge es um die Entschlüsselung eines sozialen Codes, nur um sich wieder vom nächsten Objekt zu neuen Formen inspirieren zu lassen. Wie Staffagefiguren oder Conférenciers führen sie ins Bildgeschehen ein. Manchmal bilden sie eine Art Vorhang, der am linken Bildrand beiseite gezogen wird, um eine Szene freizugeben. Spielerisch umschmeicheln sie die aus Büchern und Designmagazinen kopierten Ansichten von Repräsentations- und Bühnenarchitekturen, extravaganten Dekors, Fotografien und Filmen. Häufig sind dies Treppen, Faltenwürfe, Rocaillen, hoch aufgerichtete Monumente und muskulöse Körper von Bodybuildern oder auf manieristischen Kupferstichen, beispielsweise von Hendrik Goltzius, die sanft von der Kamera erfasst, nahezu abgetastet werden. Diese Zooms ins Bild eröffnen uns einen differenzierten Blick auf Details, die im Kanon der Kunst wenig Beachtung fanden. Im Verbund mit der Kamera und damit mit dem Auge des Betrachters/der Betrachterin verfolgen, überschneiden oder blocken die geschmeidigen Linien einzelne Bildelemente, aber sie berühren sie nie. Sie bleiben immer in ihrer eigenen vorgeblendeten Sphäre. Die Welt, die Julian Göthe generös mit uns teilt, wird auf einer ästhetischen Ebene verhandelt, die Ambivalenzen zulässt und gerade deshalb das Potential hat etwas zu verändern ohne dogmatisch zu werden.
Text: Anette Freudenberger
Fotos © Verena Nagl
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