Ausstellung
Prolog: Hierarchien
Lagerfeld trifft die Eltern der Atelierleiterin. „Sie hat wirklich gute Arbeit geleistet.“ Die Eltern: „Danke für alles was Sie für sie tun.“ Lagerfeld: „Ich mache gar nichts für sie, wir arbeiten zusammen!“
Eine kleine Wertkette
Das Objekt ist alt; und mittlerweile rar. Es ist aus edlen Materialien gefertigt, schwer zu beschaffen, es war schon zur Zeit seiner Herstellung ein Luxusgut. Idealerweise ein ebenso seltenes, seiner Zeit in Fertigung oder Technik vielleicht voraus. Unzählige, gelernte Arbeitsstunden sind in seine Herstellung geflossen. Im Bestfall im Besitz eines „bedeutenden Mannes“, in ausgezeichnetem Zustand. Oder mit Gebrauchsspuren, dann aber gar in „historischer“ Situation im Gebrauch. Ideal, erlesen, schlachtentscheidend. Der Wert der Ware nicht nur geronnene (Arbeits-)Zeit, nicht nur Gebrauchswert und Tauschwert enthaltend. Oder es verweigert sich den Kategorien, und erfüllt sie dennoch still, ist Träger einer unausgesprochenen Übereinkunft, Geschmack und Distinktion sind in ihm, noch vor der verlorenen Zeit, geronnen. Wert-Zeitkristalle ohne Wert.
333er
In dieser imaginierten Werthierarchie stehen die gefundenen Gegenstände in den Arbeiten Karoline Dausiens weit unten. Ihre Assemblagen, Collagen und Anordnungen sind dabei maximal un-auratisch. Den von Spiegeln eingefassten Arrangements haftet nichts Überhöhendes an. Anders als in den auf Übertragung oder Reflexion (auch im buchstäblichen Sinne) setzend, oder an Minimal-Theatralität erinnernd, werden hier weniger Effekte und Raumkategorien angerufen, als tatsächliche Wiederholungen aus der nahezu obsoleten, physischen Konsumsphäre vorgenommen, das aufgeführte Stück, es ist im engeren Sinne partizipativ.
Bauernsilber
Diese Arrangements verbinden die Objekte aus Billigparfümerien, Bodegas und Kramläden mit weiteren, hinzugefügten, meist keramischen Adaptionen und Verdoppelungen. Zudem Abformungen und Bruchstücke fragmentierter – meist weiblich gelesener – Körper, as if's.
Überformungen, deren glasierte Oberflächen zwischen Kunststoff und Metall changieren, ganz wie ihre gefundenen, oft aus der Gebrauchs- oder Dekorationsindustrie übernommenen Gegenstücke. Kleine Anrufungen einer Teilhabe, eben ohne Partizipation. (Gosh)Sylt, Capri (Sonne), New York(er).
Der silbern flirrende Vorhang zieht die kleine Bühne auf; und die Objekte ab. Ein Guckkasten en minature, der ein imaginiertes ‚Hinterzimmer‘ abtrennt, das in einer digitalen Ökonomie schier unzähliger Waren kaum mehr zu betreten ist, und hier ein ganz analoges, begrenztes ‚Warenlager‘ verbirgt. Sechs kleine Miniaturen größerer Anordnungen, entlang der Wände aufgereiht (Serie Natura Morta 1-6, sämtlich 2024). Ein aus Poster- und Comic-shops entlehnte Halterung, die weitere, hier flache Collagen in postergroßen Kunststoffhüllen enthält. Diese kleinen Verdoppelungen, die Anrufung der Konsumsphäre in diesen Bilderteppichen vermehrt das Unbehagen der Operation Dausiens. Im ‚Hauptraum’ schliesslich textile Arbeiten, die an vernähte Geschenkverpackungen denken lassen (Serie Present, alle 2024), in denen nicht nur nichts verpackt ist, sondern deren Aneinanderreihungen ganz auf das Zeichen, die Gabe verweisen. Schleife um Schleife zieht sich die Anordnung weiter entlang der physischen Hinterlassenschaften einer sterbenden Ökonomie der Strasse.
Der Rundgang beginnt und endet bei genau jener, ein Außen im Innen, zwei 1:1 Modellformation, je eine Ladenfassade nachbildend (Paradies I, Paradies II, beide 2024), in der die wesentliche Komponente, die Scheidung der Sphären, die Begehrensbedingung –das große Glas– entfernt wurde. Innen und Außen, kollidieren, ununterscheidbar.
Jugendstil
So wie nicht nur die Industrialisierung zunächst ganze Handwerkszweige entwertet und obsolet werden lässt, um unter dem Diktum obsoleter „Modernität“ permanenten Absatz zu generieren, so klassifiziert sie in gleichem Maße die geleistete Arbeit ab, um dann das massenhaft verramschte Gut wiederum in die eigene Wertschöpfung zu integrieren, und zynisch als ‚Volkskunst‘ den zuvor zur deren Entwertung überredeten Gruppen als besondere Leistung vorzuführen. Was ursprünglich dazu gedacht war, eine Renaissance der Handwerklichkeit in der Sphäre des verdammten Massenprodukts einzuläuten, ist überraschend wie kein anderes dazu geeignet, mitsamt aller Schnörkel, Voluten und Dekore industriell reproduziert zu werden.
Zeit und Raumsprung. Wirtschaftswunder, Ölkrise, Perestroika. In der Ermöglichung einer günstigen, verlagerten Produktion plündern Quelle, Otto und Neckermann im Austausch für dringend benötigte Devisen ganze Volkswirtschaften aus, denen wiederum billige Produkte das Fortkommen des Apparats erkaufen. Bezahlt wird mit einer Hypothek auf gesellschaftlicher Entwicklung und Teilhabe, auf beiden Seiten. Der Radius verlagert sich, von der DDR nach Osteuropa, von Osteuropa nach Asien. Die Verarmung der Konsument:innen, die jetzt nur noch immer günstigere Produkte erwerben können, aber weiter zum Statuserhalt konsumieren müssen, sind gezwungen, sich an das jeweils günstigere Produkt zu halten, das sie zwar an der Konsumption, nicht aber an der Distinktion teilhaben lässt, und das keinerlei Wiederverkaufswert zurückbehält. Über den verlöschenden Gebrauchswert hinaus regiert die absolute Entwertung.
Hier setzt die schwierigste Operation der Ausstellung an. Es ist eine unheimliche Allianz, die diese Assemblagen formt. Auch, da die eigene Positionierung, anders als in einem Feld der Repräsentation und Distinktion üblich, die Sprechhaltung eines vermeintlichen Außen entweder als zynisch, belehrend oder ratlos angesichts der Obsoleszenz der Formationen schiene; wäre diese nicht für einen kurzen Moment ernste, glaubhafte und auf Re-Partizipation gerichtete Solidarität.
In der Beantwortung der Frage etwa, ob es –materielle Notwendigkeit überhaupt vorausgesetzt–wichtiger wäre, saubere, aber billige Kleidung zu tragen, oder eher hochwertige, wenngleich beschädigt und abgetragen, ist einiges über die Ausstellung Dausiens gesagt. Und zugleich nichts. Denn die Frage, ob ihr überhaupt als solche eine Rolle zukommt, und wie wichtig wir diese als Distinktions-Hebel nehmen, verrät darüber weitaus mehr.
Epilog
Morgens, halb 10 in Deutschland. Franz-Josef Strauss zu Besuch in der DDR. Hors d’oevres. Er sagt, er esse keine „Seehasenscheisse“…
Robert Müller
Fotos © www.aslans.work
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