Screening
US/GB 2019, 83 min.
Trailer
In Trouble verknüpft Mariah Garnett die Recherche nach der eigenen Familiengeschichte mit fiktiven Szenen, tagebuchartigen, dokumentarischen Aufzeichnungen und historischen Aufnahmen aus dem Nordirlandkonflikt. Der Film beginnt in Wien, wo die Künstlerin ihren Vater kennenlernt, der Belfast in den Siebzigerjahren aus politischen Gründen verlassen musste. Sie konfrontiert ihn mit einem BBC-Bericht aus jener Zeit, der seine Identität für eine gesellschaftlich brisante Lovestory verwertete und damit verheerende Folgen auslöste. Das Fernseh-Footage entwickelt sich zu einem zentralen Ausgangspunkt für Garnetts filmische Auseinandersetzung mit Dokumentation, Narration und der Darstellung von Geschichte. Dabei ist ihr Zugang ein queer-feministischer: Konstruktionen von „Wahrheit“ und eindeutigen Identitätszugehörigkeiten werden hinterfragt, das Verhältnis zur eigenen Position wird offengelegt, die Zuordnung zu einem bestimmten filmischen Format verweigert, die eigene Person letztlich involviert.
Die Filmemacherin reist nach Belfast und beginnt die Stadt anhand der Erzählungen des Vaters zu erkunden. Sie sucht nach Orten und Menschen aus seinen Erinnerungen und zeigt die eigenen Erfahrungen, die sie dabei macht: Mariah Garnett interviewt ehemalige Mitstreiter*innen der Bürger*innenrechtsbewegung, telefoniert mit Verwandten, kreuzt die verfeindeten Viertel mit ihren Bewohner*innen und findet sich prompt in den strukturellen Folgen des Konflikts. Auswirkungen von Toxic Masculinity und exerzierten weißen Überlegenheitsfantasien rücken bei den ideologisch geprägten Paraden, militanten Ausschreitungen und riesigen Feuern, den Bonfires um den 12. Juli, massiv ins Bild. Kontrastiert werden sie mit Perspektiven aus einer anderen Community: Aufnahmen einer queeren Bühnenshow zeigen Parodien, in denen virtuos über die nationalistischen, militärischen Slogans und rechten Identitätsmuster gespottet wird.
Die bemerkenswerte Zusammenarbeit mit den Darsteller*innen aus Garnetts Wahlverwandtschaft und die eingehende Betrachtung von so etwas wie einer Wahrheitsproblematik scheint auch an einer anderen Stelle auf, wenn sie die Struktur der historischen BBC-Sendung mit ihrem Vater aufgreift und ein bewusstes Fake-Moment in den Film bringt. Die Künstlerin reinszeniert sich als ihr eigener Vater auf den Straßen und in den Bars. In ihrer Wiederholung der Story nutzt sie die Möglichkeit, die eingeübten Gesellschaftsbilder und Rollen zu verändern und deren Begrenztheit so bewusst zu adressieren und zu durchbrechen. Sie besetzt die Rolle der Freundin mit Transfrau Robyn, die sich, wie sie in einer Szene sagt, als katholisch erzogene Belfasterin mit protestantischem Freund in gewisser Weise selbst darstellt. Mariah Garnett performt im stilisierten Siebziger-Outfit zu den erzählten Erinnerungen ihres Vaters ein Playback in den Kulissen der Stadt und entwirft damit eine tragisch-komische Version der gemeinsam geteilten Geschichte/n einer großen dysfunktionalen Familie.
- Kathrin Wojtowicz
Mariah Garnett lebt und arbeitet in Los Angeles. Ihre Arbeiten wurden u. a. bei Commonwealth and Council, im SF MoMA, Metropolitan Arts Centre/ Belfast UK (Tate Network), The New Museum, Hammer Museum, NYFF und beim Sundance Film Festival gezeigt. Sie war 2019 Stipendiatin für Film & Video der Guggenheim Foundation.
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