Ausstellung
In Seyoung Yoons Arbeiten und Ausstellungen überkreuzen sich diverse Erzählfiguren und Handlungsstränge. Aus verschiedenen Richtungen treffen malerische und grafische Elemente aufeinander oder existieren einfach nebeneinander, in einem beweglichen Feld, das ebenso sprachlich wie visuell strukturiert ist. Sie imaginieren einen expansiven Raum, der sich auf unterschiedlichen Ebenen immer weiter auffächert und über die Ausstellungen hinaus durch Texte, Projekte und Netzwerke mäandert, wobei die Grenzen zwischen realistischer Beobachtung und Fiktion offen gehalten werden.
In Schwaz bleibt Seyoung Yoon im Bild, aber sie hybridisiert und beschleunigt die klassische Form, durchlöchert und überlagert sie, malt Text und druckt Bildfelder. Dabei setzt sich eine eigene Dynamik in Gang, die unaufhaltbar ist (Kuratiert von Anette Freudenberger).
Text von Anke Dyes:
Probleme und ihre Lösungen, character breakdown und andere Mechanismen und Unwegbarkeiten des Storytelling, nicht zuletzt die, das hier buchstäblich etwas dahinter steckt, das auf einen Plot, auf eine mögliche Enthüllung hindeutet: In Seyoung Yoons neuesten Arbeiten sind bedruckte Leinwände auf Malereien platziert. Sie verbergen den gemalten Hintergrund und zugleich treten die verschiedenen Ebenen miteinander durch diverse Öffnungen und Bearbeitungen in Beziehung. Manuelle Eingriffe wie Schnitte, darauf gemalte Elemente und kleine Objekte unterbrechen die grafische Oberfläche, die Corporate Identity, und verkomplizieren so die Materialisierung einer Idee (die sich verkaufen lässt, die einen corporate Nutzen hat unter der corporate Oberfläche.
Dahinter und an den Rändern kommen die echten Körper zum Vorschein, die Nutzerinnen und die Nutzung. Die Props und Objekte, die Yoon zu, auf und in ihren Bildern platziert, erzählen keine schlüssige Geschichte, auch wenn Teile von Geschichten auch Teile von ihren Bildern sind. Farbepalette, Typographie und Text deuten dagegen eine gemeinsame Grundlage an und vermischen so, wann immer möglich, Ursache und Wirkung.
Ein YouTube-Video das mir kürzlich empfohlen wurde (nicht durch jemanden persönlich sondern durch den Algorithmus der Webseite) bestand aus einer jungen Frau, die sich, dem Konzept des Kanals folgend, langsam auszog und dabei über sich redete. Noch überwiegend bekleidet, erzählt sie: „Ich war das Mädchen, das man im Club anmachen konnte mit `Da ist eine Traurigkeit in deinen Augen.´ Aber im Grunde haben alle ein bisschen Traurigkeit in ihren Augen. Nur ich bin trotzdem darauf hereingefallen“. Es gab einen ganzen Kanal, der sich auf dieses Konzept stützte und ich habe circa 30 Videos angeschaut, in denen sich verschiedene Personen je bis auf die Unterwäsche auszogen und über sich und ihr Körpergefühl aber auch andere persönliche Dinge redeten. Die Dramaturgie änderte sich nie und auch nicht, wie darin persönliche Stories mittels der sich wiederholende Metapher von Gefühlen und ihrer Ästhetik erzählt wurden. Jedes Video bestand aus diesen zwei Elementen, die dasselbe machen und zu Gegensätzen werden, die sich gegenseitig sowohl brauchen als auch überflüssig machen; Körper und Geist als Antagonisten ebenso wie als komplementäre Elemente eines Striptease, bei dem man die Traurigkeit in den Augen enthüllt. Die Enthüllung ist eine pick-up-Line, und die Traurigkeit in den Augen ist nicht die eigene, sondern die, die alle in ihren Augen haben. Aber wie wir wissen ist das Persönliche theoretisch und gehört einem nicht allein. Am Ende des Videos fordern die Produzentinnen die Betrachter:innen auf, Teil der Bewegung (für Selbstakzeptanz) zu werden und platzieren damit das Marketing innerhalb der Produktion selbst. Ein Prosumer-Schachzug, für den YouTuber exemplarisch stehen, wenn machen und verkaufen in eins fallen.
Die Enthüllung, bei der sich Freude und Enttäuschung mischt, bringt aber auch noch etwas anderes zum Vorschein, nämlich eine Vorstellung davon, wie sich die Dinge sinnvollerweise zueinander verhalten, in welchem Verhältnis Zeit, Geld, Mühe und Intention am besten zueinander stehen.
Es gibt verschiedene Arten, dieses „richtige“ Verhältnis zwischen ästhetischem und monetärem Wert, das hier zugleich als asynchron und als abhängig voneinander erscheint, in Frage zu stellen. Etwa in Form einer über- oder unterspannte Performance in welcher Rolle auch immer, als ein emotionaler Striptease, als eine Metapher oder als eine italienische Delikatesse.
Fotos © Verena Nagl
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