Ausstellung
Whistle and I'll Come to You
Birke Gorm, Nora Kapfer, Matthias Noggler
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In der Galerie der Stadt Schwaz werden in regelmäßigen Abständen Ausstellungen von Künstler*innen kuratiert. In diesem Jahr ist es der gebürtige Innsbrucker Matthias Noggler, der Birke Gorm und Nora Kapfer zu einer gemeinsamen Präsentation eingeladen hat. Die jungen Künstler*innen widmen sich mit den Mitteln der Malerei möglichen Sprachformen angesichts der gegenwärtigen Verfasstheit der Welt. Diese Mittel sind immer auch in Relation zu konkurrierenden Bildformen zu sehen, z. B. fotografischen oder filmischen, die massenhaft vagabundieren, geteilt und vervielfältigt werden.
Die drei Künstler*innen gehen sehr präzise und zugleich unterschiedlich mit dem Medium um. Die Unaufgeregtheit, mit der sie durch die durchaus beängstigende Vielfalt an Möglichkeiten, die die Kunstgeschichte bereithält, navigieren, ist kennzeichnend für eine Malerei heute, wo alle Konzepte schon durchgesetzt sind, ideologische Grenzziehungen (etwa zwischen Abstraktion und Figuration) keine Relevanz mehr haben, alle Ausdrucksformen, Strategien, Widersprüche und Intensitäten sich nurmehr zu entladen brauchen. Aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, im jeweiligen Kontext spezifisch zu agieren, immer im Bewusstsein um die Instabilität der Zusammenhänge.
Statt aus der Malerei auszusteigen, greifen die Künstler*innen in Schwaz direkt und überlegt auf die technischen, narrativen und ikonischen Arsenale von Malerei zu und erweitern den Resonanzraum ihrer Bilder. Umstandslos schalten sie zwischen gegenständlichen und abstrakten Registern hin- und her, beobachten, vor welchem Hintergrund Figuren auftauchen, bringen die Verhältnisse von autonomen Einzelbild zur Serie, von Geste, Abdruck und Linie zueinander in Stellung und erschließen über die Verwendung unüblicher Materialien weitere Kontexte.
Birke Gorm arbeitet nicht mit Pinsel und Farbe auf Leinwand, sondern mit Nadel und (Jute-)Faden, den sie teilweise aus aufgelösten Säcken gewinnt. Ihre hybriden Arbeiten, sind ebenso von dekorativem Kunsthandwerk und Amateurkunst wie von der Ikonografie der älteren bis jüngsten Malereigeschichte inspiriert, die wörtlich und bildlich gesprochen durch mehrere Schichten verdichteten Gewebes hindurch schimmern.
Nora Kapfer trägt Bitumen auf mittelformatige Leinwände auf. Bitumen ist ein zähflüssiger, natürlich vorkommender oder aus Erdöl gewonnener Rohstoff, ein Teerähnlicher Asphalt - Erdpech -, der schon im Altertum als Werkstoff und Farbe verwendet wurde. Auf ihren Arbeiten bildet es eine nie vollständig trocknende, dunkelglänzende Oberfläche, aus deren Tiefe einfache, wiedererkennbare Formen aufzusteigen scheinen. Die motivische Reduktion ihres Vokabulars adressiert die Betrachter*innen auf direktere, körperlichere Art, als die mehr auf die Binnenzeichnung konzentrierten Bilder von Matthias Noggler.
Noggler arbeitet mit verschiedenen malerischen Techniken und Stilen, die er je nach Ausstellungssituation variiert oder in Bezug zueinander setzt. In Schwaz zeigt er eine Serie abstrahierter Figurenkonstellationen vor schwarzem Bildgrund, die in sequenzieller Abfolge amorphe bis architektonische Strukturen evozieren und sich zu schematisch-ornamenthaften Sozialkörpern formen.
Text: Anette Freudenberger
Fotos © Verena Nagl
Moderne Stoffe | Schwarze Galle, Niklas Lichti, 2018
‚My purpose and endeavour is, in the following discourse, to anatomize this humor of melancholy through all his parts and species, as it is an habit, or an ordinary disease, and that philosophically, medicinally, to shew the causes, symptoms, and several cures of it, that it may be better avoided‘, schreibt Robert Burton in der Einleitung zu seinem literarischen Lebenswerk The Anatomy of Melancholy. Burton hatte seine Studie zur Melancholie zunächst 1621 unter dem Pseudonym Democritus Junior veröffentlicht und jede der folgenden Auflagen um zahllose Ergänzungen erweitert. Seine Einführung im Umfang einer mittleren Novelle beginnt mit einer direkt an die Leserschaft gerichteten Autorenbeschreibung und dem Appell: ‚When you see the cover, why ask about the thing hidden?‘ Den LeserInnen mit drängendem Bedürfnis nach eindeutiger Verortung seiner Person empfiehlt er: ‚Seek not after that which is hid; if the content pleases thee, and be for thy use, suppose the man in the moon, or whom thou wilt to be the author; I would not willingly be known‘. Ein ohnehin ironisches Identitätsangebot, welches in der Folge lustvoll von Burtons Autorenpersona zerlegt und mit immer weiteren Brüchen, Reflexionen, Oberflächen, Zerstreu- ungen und Übertreibungen ausgestattet wird. Die gesamte Einleitung zur Anatomie dient dem Autor als Bühne eines anti- illusorischen Theaters, auf welcher er sich in immer neuen Masken und literarischen Stilen präsentiert. Einer Abhandlung zu Democritus, Robert Burtons halbherzigem Alter Ego, folgt eine seitenlange Offenbarung der eigenen Mittelmäßigkeit: Von der Welt habe er lediglich Landkarten gesehen und die eigenen Studien betreibe er wie ein Hund, welcher jedem Vogel hinterher bellt, dem er begegnet. ‚I have read many books, but to little purpose, for want of good method; I have confusedly tumbled over divers authors in our libraries, with small profit, for want of art, order, memory, judgement.‘ Der scheinbaren Bescheidenheit und Intimität dieser Geständnisse folgen Ausführungen und Stream-of-Consciousness-Passagen, welche unter anderem damalige Publikationskultur, Wissensaneignung, Politik, Handel, Krieg und Frieden, Arbeit, Sport und Kos- mologie streifen und darin die enzyklopädische Weite seines Wissens zu erkennen geben. Immer wieder kehrt Burton zu seiner eigenen Person zurück, verknüpft seine Autorenposition mit Streifzügen in die Unübersichtlichkeit seines angehäuf- ten Bücherwissens, vergißt dabei auch nicht, seine Kritikerinnen direkt zu adressieren und rechtfertigt seine Zitatendichte als notwendigen Plagiarismus: ‚I do not deny it; I have only this of Macrobius to say for myself, ‘tis all mine and none mine.‘ Diese tautologischen Verdopplungen, in denen die Aussageform ihren Inhalt wiederholt, prägen das gesamte Buch und so scheint auch der Eindruck von Zufälligkeit, welcher sich durch Burtons Themenvielfalt und deren Bearbeitung einstellt, ein bewusster Versuch zu sein, Kontingenz erfahrbar zu machen. ‚So that a river runs, sometimes precipitate and swift, then dull and slow; now direct and winding; now deep and shallow; now muddy, then clear; now broad, then narrow; doth my style flow: now serious, then light; now comical, then satirical; now more elaborate, then remiss, as the present subject required, or as that time I was affected‘, beschreibt er seinen Schreibstil, indem er ihn gleichzeitig zu naturalisieren scheint: ‚I am a water-drinker, drink no wine at all, which so much improves our modern wits, a loose, plain, rude writer and as free and loose, I call a spade a spade, I write for minds not ears, I respect matter, not words; remembering that of Cardan, words exist for things, not things for words.‘ Besonders deutlich wird dieses Spiel mit Tautologie und Paradoxie anhand einer Text- stelle, die Burtons Democritus als Philosophen mit depressiver Disposition zu offenbaren scheint und die Arbeit an seiner Anatomie der Melancholie kurzerhand zum therapeutischen Selbstversuch erklärt: ‚I write of melancholy, by being busy to avoid melancholy (...) to ease my mind by writing, for I had a heavy heart and an ugly head, a kind of imposthume in my head, which I was very desirous to be unladen of, and could imagine no fitter evacuation than this. Besides I might not well refrain, for one must needs scratch where it itches‘. Burton setzt hier nach eigener Aussage Gift als Gegengift ein, er schreibt, um dem Torpor - der bleiernen Starre des Nichtstun - zu entgehen, entwirft seine Selbstbehauptungen nach einem defizitären, immer flüchtigen Selbstbild und findet in der Zerstreuung seine Form. Diese Strategie einer geformten Form- losigkeit ermöglichte es Robert Burton, dem zu seinen Lebzeiten bereits monströsen Ausmaß des gesammelten Wissens, eine literarische Entsprechung gegenüberzustellen und gleichzeitig die idiosynkratischen und assoziativen Windungen zum Teil des Erkenntnisprozesses zu erklären. Und dennoch bleibt die Melancholie, insbesondere in den drei Hauptteilen seiner Abhandlung, das Thema, zu welchem er immer wieder zurückzufinden scheint. Wie einem weißen Wal folgt er der schwar- zen Galle von der Vier-Säfte-Lehre, zum Teufel, zu Feen, Kobolden und Aberglauben im allgemeinen, findet Zeit seine ei- gene Gesellschaftsutopie zu entwerfen, Theorien zu Alter und Vererbung auszuführen, kommt vom Müßiggang der Tiere auf systemische und gesellschaftliche Untätigkeit, Ernährung und Diäten, verhandelt Einsamkeit, Liebe und Religion. Er widmet sich dem Begriff der Freiheit, behandelt Armut, schlechte Bildung und vom Unbehagen der eigenen Klasse schreibt er: ‚Now for poets, rhetoricians, historians, philosophers, mathematicians, sophister, etc., they are like grasshoppers, sing they must in summer, and pine in the winter, for there is no preferment for them.‘ Die schwarze Galle, körperliche Manifestation der Melancholie in der von Burton ausführlich behandelten Humoralpathologie, dient ihm als Prisma, durch welches er das ihm gegenwärtige Weltwissen bündelt, die dadurch entstehenden Aberrationen, zeichnen die Konturen dieser notwendig monströsen literarischen Form. Trotz aller Mystik, Kauzigkeit, Idiosynkrasie und Unübersichtlichkeit ist es wohl vor allem der Versuch Pathologie gesellschaftlich zu verorten und durch das zusammengetragene Wissen die Melancholie von den vor- herrschenden metaphysischen Schicksalsnarrativen zu entkoppeln. In diesem Punkt ist Robert Burton vermutlich so etwas wie ein Vorläufer der modernen Psychiatrie auf ihrem Weg zu einem zeitgenössischen Begriff der Depression, in seiner literarischen Form ein Vorbote des Modernismus und als Autor eine Figur von konsequenter Ambivalenz: ‚I shall lead thee over steep mountains, through treacherous valleys, dew-clad meadows and rough plowed fields, through variety of object, that what thou shalt like and surely dislike‘.
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